Eine Stadt isst

Die neue Ausstellung im Ludwigsburg Museum

Vom 7. April bis 22. September 2019 ist im Ludwigsburg Museum die Ausstellung „Eine Stadt isst“ zu sehen. Ein Besuch lohnt sich. Mit zahlreichen, zum Teil noch nie in der Öffentlichkeit präsentierten Exponaten beweist das Museum, dass Essen weit mehr als nur Nahrungsaufnahme ist und immer war.

„Eine Stadt isst“ – Ausstellung im Ludwigsburg Museum

Essen im Museum

Essen gehört auf den Tisch, klar, wohin auch sonst? Gut, Picknickdecke ist bei der nun anbrechenden schönen Jahreszeit auch noch eine beliebte Option. Aber darüber hinaus? Für mich ist die Antwort ganz klar: Essen gehört auch ins Museum. Das hat im Europäischen Kulturerbejahr SHARING HERITAGE 2018 unser Projekt „Zu Tisch! Genießen in Schlössern und Gärten“ gezeigt. Und auch das Ludwigsburg Museum liefert mit seiner neuen Wechselausstellung den Beweis.

Das städtische Museum der ehemaligen Residenzstadt gehört zu den kleinen, feinen Museen, die ich sehr liebe. Ich hatte das Glück, die Faltpläne lektorieren zu dürfen, die durch die einzelnen Räume der ständigen Ausstellung leiten. Daraus sollte sich eine sehr schöne Zusammenarbeit entwickeln. Da ich über diese Arbeit und meine zwei Bücher „Ludwigsburg – Stationen einer Stadt“ und „Ludwigsburg – Literarische Spuren“ (beide 2004) mit der Geschichte der Stadt sehr vertraut bin, wurde ich kurz nach der Neueröffnung 2012 gefragt, ob ich im Museum führen wolle. Ich wollte. Zwar mache ich es nicht oft, aber doch sehr gern. Normalerweise übernehme ich Gruppen für die Dauerausstellung, vor allem dann, wenn sie verstärktes Interesse an der Literatur haben. Manchmal führe ich auch in den Wechselausstellungen, so in diesem Jahr durch „Eine Stadt isst“, die am 7. April eröffnet wurde. Am 27. April stand in meinem Terminkalender die erste öffentliche Führung, und ich war sehr gespannt darauf.

Das Paradies ist …?

Essen verbindet, macht gute Laune und ist ungeheuer wichtig für die Kommunikation. Dass das auch für die Ausstellung und die Führung gilt, konnte ich gleich am Anfang spüren. Die erste Sequenz widmet sich den Nahrungsmittel-Grundqualitäten sauer, umami, süß, salzig und bitter. Als ich in die Runde fragte „Welche Geschmacksrichtung verbinden Sie mit dem Paradies?“, kam sofort die einstimmige Antwort „süß“. Mein Hinweis, dass das Paradies in der Ausstellung aber mit „sauer“ assoziiert werde, rief Staunen hervor. Die Diskussion war sofort in vollem Gang. Nach einer Weile öffneten wir die Tür, auf der „sauer“ steht.

Links ist ein Stich von Maria Sibylla Merian ausgestellt: „Zitruspflanze mit Frucht“ aus dem Buch „Metamorphosis insectorum Surinamensium“ (1719). Zitruspflanzen, das ist die Lösung des Rätsels. Besonders beliebt waren schon früh „Pomeranzen“. Der Hybrid aus Grapefruit und Mandarine wird seit mehr als 4000 Jahren kultiviert und kam aus Süd- und Ostasien nach Europa. Die Bezeichnung leitet sich vom lateinischen „pomum aurantium“ ab, was so viel wie „goldener Apfel“ heißt. „Goldene Äpfel“, allein das Wort zeigt schon deren Wert. Die Tatsache, dass sie in unserem Klima nicht gedeihen können, machte die Früchte früher richtig teuer. Für einen feudalen Herrscher wie den Stadtgründer Eberhard Ludwig war das ein gefundenes „Fressen“. Was teuer war, unterstrich den eigenen Status und war deshalb begehrt.

Leckere Geschmacksache(n)

Leckere Geschmacksache(n)

In dem kleinen „sauren“ Kabinett sind deshalb auch Stiche zu sehen, die verschiedene Pläne vom Ludwigsburger Schlossgarten aus dem Jahr 1712 zeigen. Die barocken Gärten (und nicht nur diese, sondern vielleicht Gärten überhaupt) sollten das Abbild des Paradiesgartens sein. Südfrüchte, allen voran Pomeranzen, durften darin nicht fehlen. Unzählige Zitrusbäumchen säumten deshalb die Wege. Das war in Ludwigsburg nichts anders als in Versailles, Potsdam oder im Dresdner Zwinger, wo diese Tradition inzwischen wieder auflebte. Um sie zu überwintern, mussten beheizbare Orangerien gebaut werden, Schloss Ludwigsburg besaß drei davon.

Das Rätsel um das saure Paradies war damit geklärt. Am Ende jonglierten wir fröhlich mit den Begriffen und kamen zu dem Schluss: Gott reagierte auf Adams Biss in den süßen Apfel sauer. Das hatte bittere Folgen für die Menschen und führte zu vielen salzigen Tränen. Doch wie sollten wir da „umami“ unterbringen, eine Geschmacksrichtung, die keiner kannte?

Was bitte ist umami?

Umami wurde bereits vor über 100 Jahren von dem japanischen Chemiker Ikeda Kukunae (1864-1936) entdeckt. Er definierte den Geschmack als herzhaft-wohlschmeckend, in Wikipedia wird er unter anderem mit „schmackhaft würzig“ übersetzt. Er entsteht durch natürliche Glutamate und ist vor allem in eiweißhaltigen Lebensmitteln anzutreffen. Tomaten oder Parmesan kann man mit „umami“ beschreiben, aber auch Mayonnaise. Über diese ergibt sich ein spannender Anknüpfungspunkt zu Ludwigsburg. Denn hier saß die Firma, die in eben diesem Ort die Rezeptur für die wohl beliebteste Mayonnaise der Wirtschaftswunderzeit entwickelte, um sie dann im Karlsruher Werk herstellen zu lassen. Es handelt sich um das Unternehmen Heinrich Franck Söhne, das 1822 in Vaihingen an der Enz gegründet worden war und ab 1868 seinen Sitz beim Ludwigsburger Bahnhof hatte. Was eine Kaffeefirma mit Mayonnaise zu tun hat? Das ist Stoff für einen eigenen Blogartikel …

Einkauf im Wandel der Zeiten

Nachdem wir die verschiedenen Geschmacksrichtungen abgehandelt hatten, ging es weiter zum Thema „Einkauf“. Kinderkaufläden aus verschiedenen Zeiten und Zeitungsauschnitte aus den Jahren zwischen 1945 und heute veranschaulichen die Veränderungen, die beim Einkauf stattfanden. Anfang der 1950er-Jahre besaßen 95% der Deutschen noch keinen Kühlschrank. Mal nachts kurz aufstehen und sich ein Wurstbrötchen machen? Das war damals nicht so einfach. Sofern man sich überhaupt frische Wurst leisten konnte, war es kaum möglich, sie zu lagern. Mit der flächendeckenden Einführung des Kühlschranks und schließlich auch der Kühltruhe änderte sich das aber entschieden. Seitdem kann man sich den Wurstaufschnitt für mehrere Tage in den Kühlschrank packen und nach Herzenslust schlemmen, wann immer es einem gefällt. Man muss nicht mehr so oft einkaufen, kann das Essen schneller zubereiten.

In unserer Diskussion ging es an diesem Standort vor allem um die Frage, in wie weit man durch das eigene Einkaufsverhalten Wirtschaftspolitik machen kann. Jetzt beim Schreiben des Blogartikels kommt mir allerdings die Idee, dass ich bei der nächsten Führung fragen könnte, wie sich die neuen Technologien wohl auf die Welt Frauen ausgewirkt haben. Wäre ohne die Erfindung von Kühlschrank und Tiefkühltruhe der Weg der Frau in die Berufstätigkeit noch schwerer gewesen, als er sowieso schon war bzw. ist? Oder wäre er sogar vereitelt worden?

Einkaufen im Wechsel der Zeiten

Einkaufen im Wechsel der Zeiten

Gegensätze ziehen sich an

Auf das Einkaufen folgen die Gegensätze: vegetarisch/fleischhaltig oder klassisch/modern, gemeinsam/einsam usw. Wunderbare Entdeckungen sind hier zu machen. Gleich zu Beginn wird auf die Stuttgarter Foodbloggerin Nathalie Friedrich verwiesen. In ihrem Blog präsentiert sie Rezepte und Tipps rund um vegetarische und vegane Speisen und inszeniert diese in sehr appetitlichen Bildern auf Instagram. Dagegen steht die Lust am fleischhaltigen Essen, die die württembergischen Herzöge auf der Jagd ungebremst auslebten. Dass die Landbevölkerung massiv unter den Flurschäden und den Frondiensten, die sie etwa als Treiber leisten musste, litt, war den Herrschenden egal, das Tierwohl sowieso. Symbolisch für das Jagdprivileg und das Privileg Wildfleisch essen zu können, steht die Jagdbüchse Herzog Eberhard Ludwigs. Es handelt sich um einen Vorderlader mit Steinschloss, gefertigt von Hofbüchsenmacher Daniel Philipp d’Argent zwischen 1710 und 1733.

Besonders begeistert hat die Teilnehmer auch das Gegensatzpaar „exportiert/importiert“. Als Beispiel für „importiert“ wird die Familie Karlen angeführt. Herzog Friedrich von Württemberg, der dank Napoleon ab 1806 unter dem Titel König Friedrich I. von Württemberg firmieren durfte, wollte im Seegut Monrepos eine ländliche Idylle zaubern. Zu diesem Zweck wurde die Sennerfamilie Karlen samt Kuhherde aus der Schweiz nach Ludwigsburg transportiert, wo sie in die Meierei einzog. Auf der Tafel des Hofes war ab diesem Augenblick jederzeit frischer Schweizer Käse verfügbar. So kann man also regionale Genüsse schaffen, die eigentlich gar nicht aus der Region stammen.

Aus Schwaben „exportiert“ haben sich 1848 der junge Apotheker Karl Pfizer und sein Cousin Karl Erhart, ein gelernter Konditor. Zusammen gründeten die beiden Ludwigsburger in Brooklyn das heute weltweit bekannte Pharmazieunternehmen Pfizer. Erstes Produkt war eine Wurmkur, eigentlich eine etwas unappetitliche Angelegenheit, aber für was war denn ein Konditor dabei? Die Kur wurde schlicht und einfach in leckeren Mandel-Karamell-Hörnchen versteckt, der Aufstieg des Weltkonzerns begann. Die Mischung macht es eben.

Gemeinsam - Einsam | Fastenbrechen auf dem Marktplatz  und Essen auf Rädern

Gemeinsam – Einsam | Fastenbrechen auf dem Marktplatz und Essen auf Rädern

Was vom Essen bleibt

Unter den Gegensatzpaaren lassen sich viele interessante Geschichten finden, vielleicht erzähle ich manche demnächst noch genauer. An diesem Punkt ist die Ausstellung noch lange nicht zu Ende. Da gibt es noch die Fotoserie „Essen in Gesellschaft“, die der im nahen Bietigheim-Bissingen geborene Fotografen Reiner Pfisterer beisteuerte. Keines der Fotos ist inszeniert, in keinem geht es um ästhetisch angerichtete Speisen. Vielmehr wird das Augenmerk auf Spuren gelenkt, die das Essen hinterlässt. Da sind Likörflaschen, Kaffeekannen und Kuchen auf einer Anrichte, die auf den Verzehr warten, leere Stühle und Tische bei einem Bankett, Überbleibsel eines Mahls. Und zwischen den Wänden mit den Fotos steht die letzte Abteilung der Ausstellung, sozusagen das Esszimmer.

Tischgespräche

Bürgerinnen und Bürger der Stadt aus 300 Jahren wurden an einem großen Tisch versammelt. Sie essen zusammen, führen ein imaginäres Gespräch. Hierarchien werden sichtbar, wenn an den Enden König Friedrich I. und seine Gattin Charlotte Mathilde platziert werden. Der König ist durch Porzellan aus der Ludwigsburger Manufaktur vertreten. Er hat es sich um 1810 anfertigen lassen, um damit seine neue Königswürde zu demonstrieren. Die Königin ist durch eine Schatulle präsent, die ein Frühstücksservice enthält, das sie ihrem Gatten König Friedrich I. um 1810 geschenkt hat. Das Porzellanmedaillon auf dem Deckel wurde von ihr selbst bemalt. Auffällig ist, dass das Service nur für eine einzige Person gedacht ist. Offenbar war Charlotte Mathilde wichtig, dass der Gemahl morgens allein und in Ruhe frühstücken konnte – oder vielleicht eher sie selbst.

Am Tisch vereint

Am Tisch vereint

Auch die Ludwigsburger Dichter Mörike und Schiller fehlen nicht. Letzterer mit Hinweis auf die faulen Äpfel, die in der Schreibtischschublade liegen sollten, um ihn zu inspirieren, und den Vater, der als Obstbaumzüchter Geschichte machte. Der Unternehmer Robert Frank sitzt ebenso am Tisch wie sein Handlungsreisender Gustav Schulte, der die gesamte Ausstattung für die Verkostung des Ersatzkaffees im Gepäck hat. Sepp Herberger ist anwesend, weil er mitten im Krieg die Fußballnationalmannschaft hier zusammentrommelte, was sich als logistische Meisterleistung hinsichtlich der Lebensmittelmarken herausstellte. Auch Eduard Fehr hat einen Platz bekommen, immerhin hatte er in Ludwigsburg eine Idee umgesetzt, die Schule machte: Der amerikanische Soldat, der in der Garnisonsstadt stationiert war, durfte nicht aus dem Auto aussteigen. Also ließ Fehr ihn darin vorfahren und ein Mikrofon reichen. Über das konnte er sich seinen Hamburger bestellen. Der wurde ihm dann durch das Autofenster gereicht. Kommt das jemandem bekannt vor?

Dreizehn Personen haben insgesamt Platz genommen. Doch da die 13 bekanntlich keine sonderlich beliebte Zahl ist, ist noch ein vierzehnter Gast eingeplant. Der Besucher oder die Besucherin kann sich nämlich ebenfalls niederlassen. Vor ihm oder ihr wird ein Buch liegen, in das das Lieblingsrezept geschrieben werden darf. Auf diese Weise wird die Geschichte des Essens in der Stadt noch immer weitererzählt.

Informationen

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10.00 bis 18.00 Uhr

Eintrittspreis: selbstbestimmt – Pay what you want!

Öffentliche Führungen am 25. Mai, 29. Juni, 27. Juli und 31. August, jeweils 11.00 Uhr bis 12.00 Uhr; 19. Mai von 16.00 Uhr bis 17.00 Uhr. Ich selbst führe nochmals am 25. Mai und 27. Juli

Anfragen für Führungen mindestens 10 Tage im Voraus unter: Tel. 07141 910-2290, museum@ludwigsburg.de

www.ludwigsburgmuseum.de

300 Jahre Esskultur

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Andrea Hahn, Foto: Chris Korner

Mein Name ist Andrea Hahn, und ich liebe es, Geschichten zu erzählen – Geschichten von Menschen, die mir begegnen, und Geschichten von Menschen, die unsere Welt längst verlassen haben. Außerdem besuche ich gerne Orte, die Geschichten zu erzählen haben, und liebe (fast) alles, was blüht, auf vier Beinen läuft, durch das Wasser schwimmt und die Luft fliegt. Auch davon schreibe ich.

Doch nicht nur ich schreibe hier, gerne nehme ich auch Gastbeiträge auf, die sich für die Seite eignen. Die Berliner Bloggerin Nina Süßmilch hat es vorgemacht.

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