Medizin gegen Küchenrauch

Dorothea Erxleben, erste promovierte deutsche Ärztin

Die Münchner Monacensia im Hildebrandhaus ruft zur Blogparade „Frauen und Erinnerungskultur | #femaleheritage“ auf. Gefragt wird: „Was fällt Euch spontan zu Frauen und Erinnerungskultur ein? An welche prägenden Frauen erinnert Ihr Euch? Welche weibliche Persönlichkeit ist vergessen und sollte Eurer Meinung nach wieder aktiv erinnert werden?“ Ich war so lange mit Literatinnen der Goethezeit beschäftigt, dass es naheliegt, über eine von ihnen zu schreiben, das war auch meine erste Idee. Dann entschied ich mich doch anders, ich bleibe zwar dem 18. Jahrhundert treu, aber ich schreibe über eine Ärztin. Warum? Vielleicht, weil mich Medizin schon immer interessierte und ich selbst eine stark naturwissenschaftliche Schulbildung genossen habe, denn ich hatte früher ernsthaft überlegt, Tierärztin zu werden. Vielleicht auch ganz einfach, weil es eine Frau auf diesem Gebiet gibt, die mich schon lange fasziniert.

Dorothea Erxleben

Viele kennen sie und kennen sie doch nicht, Dorothea Erxleben. Ab 1988 zierte sie die bundesrepublikanische 60-Pfennnig-Briefmarke. Dass die junge Frau mit der markanten Nase und dem lockigen schulterlangen Haar die erste promovierte Ärztin Deutschlands war, wissen nur wenige. Heilkundige Frauen gab es schon lange. Medizin können sie in Deutschland aber erst seit gut hundert Jahren studieren. 1900 ließen Heidelberg und Freiberg als erste Universitäten im Kaiserreich die Immatrikulation von Studentinnen zu. Bis 1909 zogen alle deutschen Länder nach. Vorher konnten die hohen Hürden zum Arztberuf nur einzelne Frauen überspringen. Dorothea Erxleben war die Herausragendste von ihnen.

Lernbegeistertes Mädchen und working mom

Die spätere Ärztin kam als Dorothea Leporin am 13. November 1715 in Aschersleben zur Welt. Dort praktizierte ihr Vater als Arzt, wurde dann aber zum Stadtphysikus von Quedlinburg berufen. Dorothea muss ein zartes, kränkliches Kind gewesen sein, das mit außergewöhnlicher Neugier und großem naturwissenschaftlichem Interesse begabt war. In einer Zeit, in der man das weibliche Geschlecht – in Maßen – als bildungsfähig erkannte, war das gesellschaftlich halbwegs akzeptabel. So erhielt das Mädchen in Privatstunden Lateinunterricht und wurde vom Vater zusammen mit dem Bruder in der Arzneikunde unterwiesen. Auch dufte sie den Vater zu Patienten begleiten und ihn in der Praxis vertreten.

1742 entschied sich Dorothea Leporin, den verwitweten Diakon Johann Christian Erxleben zu heiraten. Sie zog seine fünf noch recht kleinen Kinder groß, vier eigene kamen kurz hintereinander dazu. Dorothea Erxleben war allen eine liebende, zugewendete Mutter. Der älteste Stiefsohn schrieb rückblickend:

„noch da ich dieses schreibe, […] schlägt mein Herz von dem Gefühl der Dankbarkeit gegen diese ewig theure und geliebte Mutter.“

Alles sah nach einem geordneten bürgerlichen Lebensweg aus, und als Frau eines Geistlichen und Mutter von neun Kindern hätte Dorothea Erxleben genug zu tun gehabt. Doch das reichte ihr nicht.

Vergehen im Rauch der Küche

1742, damals noch als Dorothea Leporin, hatte sie sich veranlasst gesehen, die Schrift „Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten“ zu veröffentlichen. Darin äußert sie den Wunsch, dass sich keine Frau, die die Fähigkeiten, den Drang und die Mittel besitzt, ein Studium anzutreten, sich aufgrund von Vorurteilen anderer davon abhalten lasse. In 410 Paragrafen handelt sie die Gründe ab, die die Frauen letztlich doch hinderten, ein Studium anzutreten. Am Ende denkt sie, gezeigt zu haben:

„wie möglich es sey, daß auch unser Geschlecht den Parnassum suche, und nach ächter Gelehrsamkeit höchstes Fleißes sich bestrebe.“

Warum sie das alles schreibt? Sie ist der „festen Meynung“,

„daß unter diesem edlen Geschlecht sehr viele anzutreffen, um die es immer schade ist, daß sie im Küchen-Rauch, oder doch bei dem Nähe-Pulten verderben sollten.“

Nicht willens, diesem Schicksal zum Opfer zu fallen, bemühte sie sich in Halle um ein Studium, wurde aber nicht zugelassen. Daraufhin überreichte sie 1740 einem Gesandten des preußischen Königs Friedrich II. ein Schreiben mit der Bitte, der König möge ihr und ihrem Bruder Christian das Medizinstudium genehmigen. Tatsächlich erhielt sie 1741 von König die Sondergenehmigung, seine der Aufklärung verpflichteten Begründung lautete:

„Da dergleichen Exempel bey dem weiblichen Geschlecht insonderheit in Deutschland etwas rar sind und dem, nach dieser Casus demselben zu nicht geringer Ehre gereichen würde, wolle er mit dem größten Vergnügen alles Mögliche zum glücklichen Fortgange der erwehlten zwei Candiaten beytragen.“

In genau diese Zeit fiel aber der 1. Schlesische Krieg. Der Bruder entzog sich durch Flucht der Einberufung und begann ein Medizinstudium in Göttingen, wohin Dorothea Leoporin ihm wegen ihrer persönlichen Umstände nicht folgen wollte. Sie heiratete stattdessen Erxleben und half dem kränkelnden Vater mehr und mehr bei seiner medizinischen Tätigkeit. Auch vertiefte sie ihre theoretischen Kenntnisse und übernahm nach dem Tod des Vaters 1747 seine Praxis, während sich ihr Bruder in Nienburg niederließ. Erxleben dürfte ihre Tätigkeit mit Erleichterung aufgenommen haben, denn er war ebenfalls krank und sie steuerte dadurch zum Familieneinkommen bei.

Eine medizinische Pfuscherin?

In Quedlinburg war die Arbeit der jungen Ärztin manchem ein Dorn im Auge. Als eine ihrer Patientinnen verstarb, wurde Dorothea Erxleben prompt wegen „medicinischer Pfuscherey“ angezeigt. Um den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, entschloss sie sich, ihre Promotion nachzuholen. Ihre Dissertation „Quod nimis cito ac iucunde curare saepius fiat causa minus tutae curationis“ („Academische Abhandlung von der gar zu geschwinden und angenehmen, aber deswegen öfters unsichern Heilung der Krankheiten“) reichte sie im Januar 1754 ein. Die Prüfung fand am 8. Mai statt, die feierliche Promotion am 12. Juni 1754 im Haus des Dekans der medizinischen Fakultät der Universität Halle. Johann Juncker, der Prüfungsvorsitzende, resümierte:

„Sie hat allein zwey ganze Stunden hindurch die an sie gethane Fragen mit einer bewunderungswürdigen Bescheidenheit und Fertigkeit angenommen, gründlich und deutlich darauf geantwortet, und die vorgelegten Zweifel mit der gröster Richtigkeit aufgelöset.“

Ihre Kritiker brachte Dorothes Erxleben damit sicher nicht alle zum Schweigen, aber sie musste sich nicht mit dem Küchenrauch begnügen, sondern konnte praktizieren, bis sie am 13. Juni 1762 verstarb.

Literatur

Dorothea Leporin: Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten. Berlin: Johann Andreas Rüdiger, 1742.

Dr. Dorothea Christiana Erxleben. Erste deutsche promovierte Ärztin. [Ausstellungskatalog, hrsg. vom Städtischen Museen Quedlinburg – Schloßmuseum; Klopstockhaus. Texte: Brigitte Meixner.] Halle : Stekovics, 1999.

Eva Brinkschulte / Eva Labouvie (Hrsg.): Dorothea Christiana Erxleben. Weibliche Gelehrsamkeit und medizinische Profession seit dem 18. Jahrhundert. Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag, 2006.

Jürgen Fege: Dorothea Christiane Erxleben (*13.11.1715 +13.06.1762) Die erste deutsche promovierte Ärztin. In: Ärzteblatt Sachsen 6 (2011). S. 280-282.  [Zugriff 13.11.2020]

Christopf Goddemeier: Dorothea Christiana Erxleben: Doktor der „Arzeneygelahrtheit“. In: Deutsches Ärzteblatt 2013. [Zugriff 13.11.2020]

Eva Labouvie: Exleben, Dorothea Christiana (1715-1762). In: Frauen in Sachsen-Anhalt. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert. Köln [u.a.]: Böhlau Verlag, 2016. S. 127-133.

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Andrea Hahn, Foto: Chris Korner

Mein Name ist Andrea Hahn, und ich liebe es, Geschichten zu erzählen – Geschichten von Menschen, die mir begegnen, und Geschichten von Menschen, die unsere Welt längst verlassen haben. Außerdem besuche ich gerne Orte, die Geschichten zu erzählen haben, und liebe (fast) alles, was blüht, auf vier Beinen läuft, durch das Wasser schwimmt und die Luft fliegt. Auch davon schreibe ich.

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