Der Wein-Lese-Weg
Wein-Lese im Bottwartal einmal anders
Dieser Artikel über den Wein-Lese-Weg war schon zur Veröffentlichung im Blog fertig, als von der Tourismusgemeinschaft Marbach-Bottwartal die Frage kam, ob ich für die Kampagne #tastyStuttgart der Bloggerin Antje Seeling von „Delicious Travel“ den Wein-Lese-Weg vorstellen könne. Konnte ich natürlich, sehr gerne sogar, ich kenne ihn ja in- und auswendig. 2011/12 habe ich den Weg nämlich mitkonzipiert, die Texte recherchiert und geschrieben sowie die Abbildungen dazu gesucht. Weil es thematisch so schön passte, ließ ich den Blogbeitrag also noch bis zu dem Treffen liegen.
Nachdem der erste Termin wegen Regens scheiterte, war es gestern, am 18. Juli, bei strahlendem Sonnenschein soweit. Wir trafen uns in den Marbacher Weinbergen hoch über dem Neckar auf der noch jungen Aussichtsplattform. Hier befindet sich die zweite Station auf dem Wein-Lese-Weg.
Mit dabei Marion Bäuerle von den Marbacher Weingärtnern, Christa Schultheiß von den Tuk Tuk Tours und Anja Behnle von der Tourismusgemeinschaft. Nach dieser ersten Station fuhren wir im Tuk Tuk zum Weinberghäusle der Weingärtner. Überall warteten natürlich leckere Tropfen der Weingärtner auf uns, und ich hatte literarische Texte im Gepäck. Mehr dazu gibt es später von Antje Seeling, ich erzähle Euch jetzt wie ursprünglich geplant vom Wein-Lese-Weg.
Alles andere als beliebig
„Eine Weinlese am Neckar oder im Bottwartal ist ein unvergeßliches Erlebnis.“
Dieser Satz stammt aus berufenem Mund. Nämlich aus dem Mund jenes Kenners des hiesigen Weins und der schwäbischen Seele, von dem das zum Motto des Weinlands Württemberg erkorene „Kenner trinken Württemberger“ stammt – Thaddäus Troll. Der Journalist und Schriftsteller meinte mit „Weinlese“ natürlich das herbstliche Erntegeschehen in den Weinbergen des Bottwartals. Er konnte ja nicht wissen, dass man hier mehr als 30 Jahre nach seinem Tod eine weitere, völlig neue Form von Weinlese ins Leben rufen würde: den Wein-Lese-Weg Marbach-Bottwartal. Der Weg wurde 2012 eröffnet, und Troll hätte bestimmt die reinste Freude daran gehabt – zumal er selbst zu „lesen“ ist.
Stolze 36 Kilometer ist der Wein-Lese-Weg lang. Er folgt der roten Traube des Württembergischen Weinwanderwegs, ist mit Fahrrad, Bahn oder Bus zu erreichen und sogar mit dem Schiff. Auf 15 Stelen aus frostbeständigem Muschelkalk, die mit hochwertigen Edelstahltafeln versehen sind, bietet er den Wanderern amüsante und nachdenkliche, bekannte und unbekannte literarische Texte. Nie wird es beliebig, immer haben die Tafeln Bezug zur Landschaft oder zu den jeweiligen Orten. Im Konzept war noch vorgesehen, den einen oder anderen „allgemeinen literarischen Text zum Wein“ zu zitieren. Bei der Recherche stellte sich aber schnell heraus, dass das Bottwartal reich an konkreten literarischen Bezügen ist. Sogar so reich, dass wir unsere liebe Not hatten, diese unterzubringen.
Mehr als „nur“ Lektüre
Nahe dem Marbacher Anlegesteg des Neckarkäpt’ns, jenseits der Holzbrücke und damit auf Benninger Gemarkung steht die erste Stele. Sie ist Eduard Mörike gewidmet, der hin und wieder die Ferien bei seiner Tante Elisabeth Neuffer, Benninger Pfarrersfrau, verbrachte. Deren Tochter Clara war Mörikes große Jugendliebe, und ihr widmete der angehende Dichter die auf der Tafel folgende Verse:
Dieweil ich noch leibhaftig nicht
Darf kommen vor dein Angesicht,
Wie sehr ich mich auch manchen Tag
Zu dir hinübersehnen mag: –
So laß derweil (bald komm’ ich hinterdrein)
Doch meinen Schatten bei dir sein!
Auch eine von ihm selbst angefertigte Bleistiftzeichnung vom Pfarrhaus ist zu sehen. Als Freunde von mir gerade dort waren, blieben zwei Passantinnen davorstehen und kamen miteinander ins Gespräch. Die eine bedauerte, kein Werk von Mörike zu kennen. Die andere zitierte „Frühling lässt sein blaues Band flattern durch die Lüfte“, woraufhin sofort der Aha-Effekt einsetzte. Offenbar laden die Tafeln nicht nur zum Weiterlesen ein, sondern auch zum gegenseitigen Austausch.
Einmal nicht der Dichterfürst
Die zweite Stele des Wein-Lese-Wegs Marbach Bottwartal befindet sich auf Marbacher Gemarkung und ist nicht etwa Friedrich Schiller gewidmet. Der große Dichter muss sich mit einem Hinweis auf sein Geburtshaus begnügen. Oben auf der Aussichtsplattform kommt nämlich nicht er, sondern die Kinderbuchautorin Ottilie Wildermuth zu Wort. Sie ist in Marbach aufgewachsen und schwärmte vom „schwimmenden Gürtel des Schwabenlandes“, vom „guten, heimischen Neckarfluss“.
Die Benningerin Brigitte Jetschina, gelernte Bibliothekarin und tätig beim Börsenverein Baden-Württemberg, arbeitete sich zusammen mit ihrem Mann an einem im wahrsten Sinn des Wortes eisigen Januartag bis zur Marbacher Stele hoch. Der Gang übers Glatteis hat sich offensichtlich gelohnt:
„Der Aussichtspunkt am Marbacher Panoramaweg gehört zu meinen Lieblingsorten, dort zu lesen, dass es auch Ottilie Wildermuth so ging, erhöht den Reiz. Neben den großen Namen stehen hier ja auch unbekanntere Autorinnen und Autoren, und die schön gestalteten Tafeln sind ein echter Blickfang und machen neugierig.“
Die Idee, „den Württemberger Weinwanderweg im traumhaft schönen Bottwartal mit seinen Steillagen und Burgen durch Tafeln mit literarischen Bezügen zu den Orten zu ergänzen“, findet die kundige Wanderin „wunderbar“.
Das „Personal“ des Wein-Lese-Wegs
Stele Nummer 3 steht an einer Wegkreuzung und weist auf den Nachbarort Murr hin. Die sehr viel kleinere Gemeinde hat zwar nicht Marbachs Fülle an literarischen Bezügen aufzuweisen, aber auch hier führte die Recherche zum Erfolg: Auf der Stele wird der Murrer Pfarrerstochter Christina Margaretha Groß gedacht. Sie war ihrem Ehemann, dem Pfarrer Johann Friedrich Flattich, offenbar eine so wunderbare Gattin, dass er sie zum Ideal hausfraulicher Tugend erhob. Als solches verewigte er sie in seinem literarischen Werk „Hausregeln“ – lange Zeit das Standartwerk evangelischer Erziehungsarbeit.
Weniger tugendhaft war der Steinheimer Johann Friedrich Schiller, Pate des „großen“ Schiller und eine wahrhaft schillernde Persönlichkeit. An der Murrbrücke der Steinzeitstadt kann man sich näher über den Bäckersohn informieren Laut Schillers Schwester Christophine Reinwald wollte es ihm „im Vaterlande […] nirgends gelingen“ richtig Fuß zu fassen. Er ging nach England, lebte dort als Übersetzer und stand mit bedeutenden Dichtern und Verlegern in Kontakt.
An einem Ruheplatz, gelegen über Steinheim und Kleinbottwar im Gewann Ziegeläcker, können Wanderer und Spaziergänger ihren Wein und die Vesper auspacken. Dazu können sie mit Ludwig Uhland schwärmen:
Solche Düfte sind mein Leben,
Die verscheuchen all mein Leid:
Blühen auf dem Berg die Reben,
Blüht im Thale das Getreid.
Wie man einem auf der dortigen Tafel 5 abgebildeten Rentbucheintrag entnehmen kann, zählte der Tübinger Dichter und Jurist ebenso wie Thaddäus Troll und Martin Walser zu den Kunden des zur nahen Burg Schaubeck gehörenden Weinguts Graf Adelmann. Auf der Schaubeck kann man sich aber nicht nur mit literarischer Kundschaft schmücken, die Burg hat sogar einen eigenen Übersetzer: Dietrich von Plieningen zu Schaubeck (um 1453 – 1520). Kein Wunder, dass dieses Erbe im Haus Graf Adelmann gepflegt wird und der Wein-Lese-Weg sich großer Unterstützung erfreut.
Ein Weg wird belebt
Doch nicht nur seitens der Burg Schaubeck und des Weinguts Graf Adelmann wurde die Einrichtung des Wegs gefördert. Hinter dem Projekt stehen beispielsweise auch die „Weingärtner Marbach“. Sie setzen ebenso wie andere Partner auf das Leitmotiv der Region – „Literatur und Wein“. Nach Friedrich Hammer, dem ehemaligen Vorstand der Marbacher Weingärtner, ist dies ein geradezu ideales Gespann. Laut Marion Bäuerle, der Leiterin für Marketing und Verkauf, habe sich die WG der Idee des Wein-Lese-Wegs sofort verpflichtet gefühl“. Die Weingärtner hoffen, dass die Gäste und Wanderer auf diese Weise die „jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft mit Weinbergen, teilweise terrassiert und steil“ kennenlernen und den „Wengertern“ bei ihrer mühsamen Arbeit über die Schulter schauen.
Neben den literarischen Lesegenüssen sollen sie natürlich auch an den Weingenüssen ihre Freude haben, weshalb die Marbacher Weingärtner es nicht bei ihrem finanziellen Beitrag bewenden ließen, sondern an einzelnen Stationen des Wein-Lese-Wegs mit verschiedenen Aktionen für eben den Genuss von Wein und Literatur sorgen. Manch edler Tropfen „Schiller Dichterfürst“, „Don Carlos“ oder sogar der Premiumwein „Tell“ dürfte so die vom Laufen und Lesen ausgetrockneten Kehlen befeuchten.
Bergauf, bergab mit literarischer Begleitung
Zu tief sollten die Wanderer allerdings nicht ins Glas schauen. Denn der Weg, der sich zum Benning hoch und nach Großbottwar hinunter, den Harzberg hinauf und über die Burg Lichtenberg mitten hinein nach Oberstenfeld und Beilstein schlängelt, hält in den Weinbergen noch reizvolle Aussichtspunkte und in den Orten sehenswerte Kulturgüter bereit, bevor er einem lauschigen Waldweg folgend am Wunnenstein endet. Und natürlich hat er auch jede Menge weiterer Literatur zu bieten.
So wird auf Stele 6 der schwäbischen Eigenschaft ausgedehnter Verwandtschaftsbeziehungen gedacht, die dem Bottwartal diverse Verbindungen zu bekannten Dichtern bescherte. Auf weiteren Stelen werden die Besucher Thaddäus Troll, Otto Rombach und Gustav Schwab zitiert oder der anonyme Dichter „C. W-e“. Auch an ehemalige Bewohner wie den Großbottwarer Bauernführer Matern Feuerbacher und den Beilsteiner Lehrer und Dichter Julius Krais wird erinnert. Mit dabei ist auch die zeitweise in Oberstenfeld lebende und durch Justinus Kerner in die Literatur eingegangene »Seherin von Prevorst« Friederike Hauffe, geb. Wanner.
Eine kleine Sensation bietet Stele Nummer 12, auf der ein Briefauszug der Malerin Mathilde Vollmoeller-Purrmann an Rainer Maria Rilke zu lesen ist. „Hier ist schöner, nebliger Herbst mit licht seidigem Himmel und warmer Sonne“, heißt es dort unter anderem. Ihr Vater Robert Vollmöller[!] hatte 1898 den Langhans und die Weinberge am Burgberg gekauft; einer ihrer Brüder, Karl Gustav Vollmoeller, ging nicht nur als weltweit beachteter Übersetzer und Dramatiker in die Literaturgeschichte ein, sondern auch als Freund literarischer Größen, Vermittler zwischen den Filmmetropolen Babelsberg und Hollywood sowie Entdecker Marlene Dietrichs.
Durch den Dichter geadelt
Auf der letzten Tafel wird aus einem Brief Joseph Victor von Scheffels an August Holder zitiert. Dieser regte den Dichter 1888 zu einem „Führer durch die Gegend des Wunnenstein und umliegendes Gebiet“ an. „Die ganze Landschaft, von Schillers Heimath beginnend, Bottwar, Beilstein mit der merkwürdigen Burg Langhans und der Kirche St. Magdalena, das Stift Obristenfeld mit seinem Münster, das Schloss Lichtenberg, das eigenthümlich aus dem kleinen See aufsteigende Theusser Bad, das alte Nest Löwenstein und die herrlichen Forste der Löwensteiner Berge bis hinüber nach Weinsberg verdienen nähere Schilderung und sind werth, solchen Touristen, die eine Reise im Innern von Deutschland einer weit in die Ferne schweifenden vorziehen, empfohlen zu werden.“
Recht hatte Scheffel, und der Wein-Lese-Weg ist eine weitere Empfehlung sowie, dem Wunsch von Anja Behnle, Geschäftsführerin der Touristikgemeinschaft Marbach-Bottwartal, entsprechend, „eine Bereicherung für das Literaturland Baden-Württemberg, aber auch ein Ausflugsziel für die Region Stuttgart und Baden-Württemberg insgesamt“.
Service zum Wein-Lese-Weg
Die Wanderstrecke mit Einführungen zu den jeweiligen Stelen und nützlichen Informationen können ebenso wie Beschreibungen von Rundwanderwegen über die Homepage der Tourismusgemeinschaft Marbach-Bottwartal www.marbach-bottwartal.de heruntergeladen werden.
In unregelmäßiger Folge werde ich noch einige der Stelen auf dem Wein-Lese-Weg und ihren jeweiligen Bezug näher hier vorstellen.