Barbie, Lilli und die Spielzeugmacher – Was die Erfindung der Barbie mit Deutschland zu tun hat
Sie ist die berühmteste Puppe der Welt, darf seit Jahrzehnten in keinem Mädchenzimmer fehlen und ist selbst Männern nicht fremd: Barbie, der Inbegriff weiblicher Schönheit (und Schlankheit). Sie ist Symbol einer US-amerikanischen Erfolgsgeschichte, dass an ihrer Wiege die BILD-Zeitung und der deutsche Spielzeughersteller O. & M. Hausser standen, ist allerdings kaum bekannt.
Im Museum Ludwigsburg gibt es einen Ausstellungsaum, der den Erfindungen gewidmet ist. Den Ausstellungen, die von Ludwigsburg in die Welt hinausgingen oder aus der Welt in die schwäbische Stadt kamen und dort weiterentwickelt wurden. Hier sind nicht zuletzt so wichtige Innovationen wie der Ersatzkaffee, der vollautomatische Elektro-Kühlschrank und das Babytragetuch zu finden. In einer der Vitrinen ist eine Puppe mit blondem Pferdeschwanz, Wespentaille und langen, schlanken Beinen zu sehen. Auf dem Podest, auf dem sie steht, ist das Logo der BILD-Zeitung angebracht und der Schriftzug „Bild-Lilli“. Fast alle Besucher bleiben davor stehen, und bei Führungen wird regelmäßig gefragt, was es mit dieser Bild-Lilli auf sich habe. Die Antwort erstaunt.
Mattel – ein US-amerikanisches Spielzeugimperium
Die Geschichte der weltweit wohl beliebtesten Spielpuppe ist untrennbar mit dem Namen der US-amerikanischen Firma Mattel und deren Chefin Ruth Handler verbunden. Geboren am 4. November 1916 in Denver als Ruth Moskowitz (später auf „Mosko“ verkürzt) besuchte die Tochter jüdischer Einwanderer aus Polen die renommierte East High School. Neben der Schule jobbte sie stundenweise als Sekretärin in der Anwaltskanzlei eines ihrer Brüder und hinter dem Tresen der Soda-Bar, die einer ihrer Schwestern und deren Mann gehörte.
1935 ging Ruth Mosko nach Los Angeles und begann als Stenografin bei Paramount Pictures. Ihr folgte schon bald Isadore Elliot Handler, Sohn jüdischer Immigranten aus der Ukraine. Die beiden verband seit 1932 Liebe auf den ersten Blick, sie heirateten 1938. Er besuchte in L.A. die Art Center School of Design und verdiente sich Geld als Designer von Leuchtkörpern. Im Seminar lernte Elliot Handler das damals neue Material Plexiglas kennen und war so begeistert, dass er für die eigene Wohnung eine Vielzahl von Gegenständen daraus schuf. Ruth Handler erkannte sofort die Möglichkeit, die Schöpfungen ihres Mannes auf einem größeren Markt zu verkaufen. In der Handlerschen Hälfte einer gemieteten Garage – in den USA bekanntlich oft der Ort für weltweit erfolgreiche Startups – begann ihr erstes Unternehmen, beide waren gerade einmal Anfang zwanzig.
Elliot Handler quittierte Studium und Job und konzentrierte sich auf seine neue Arbeit. Ruth Handler war weiterhin für Paramount tätig und ging in ihrer Freizeit erfolgreich mit den familieneigenen Produktionen auf Verkaufstour. Als ihr Mann begann, ungewöhnlichen Schmuck aus Plexiglas herzustellen, wurde 1941 ein Juwelier auf die beiden aufmerksam. Er stieg in das Geschäft mit ein, und schon bald trugen Hollywood-Größen wie Susan Hayward die Kreationen. Im selben Jahr wurde Barbara, das erste Kind des Paares, geboren. 1944, der Sohn Ken war gerade zur Welt gekommen und Ruth Handler hatte sich inzwischen auf das Dasein als Hausfrau und Mutter konzentriert, stieg Elliot Handler aus dem Schmuckgeschäft aus. Mit Harold „Matt“ Matson begann er Bilderrahmen und Puppenmöbel herzustellen. Im Spätherbst 1944 wurde aus den Namen „Matt“ und „Elliot“ die Firma „Mattel“ kreiert. Ruth Handler sah ihre Stunde gekommen und stieg erneut in den Verkauf ein.
Matson ließ sich schon im nächsten Jahr aus gesundheitlichen Gründen ausbezahlen. Die Handlers betrieben das Geschäft allein weiter und fokussierten sich jetzt auf Spielwaren. Das Designtalent Elliots und das Verkaufstalent Ruths ergänzten sich perfekt, das Geschäft blühte, und heraus kam ein Weltkonzern. Um diesen zu schaffen, brauchte es aber noch den eigentlichen Durchbruch. Der kam 1959, als Mattel die Barbie auf den Markt brachte. Laut Chronik auf der Firmenwebsite war Ruth Handler von den Papieranziehpuppen ihrer Tochter Barbara dazu inspiriert worden.
O. & M. Hausser – ein deutsches Spielzeugimperium
Ruth Handler und ihr Mann hatten das Licht der Welt noch nicht erblickt, als 1904 auf der anderen Seite des großen Teichs der Architekt Christian Hausser seinen Kindern ein Anwesen in der ehemaligen Residenzstadt Ludwigsburg kaufte. Gezwungenermaßen musste er die Kurz- und Spielwarenfirma Müller & Freyer mitübernehmen. Dies führte dazu, dass seine Söhne Otto und Max, die eben am Start ins Berufsleben standen, ins Spielzeuggeschäft einstiegen. Zunächst führten sie Müller & Freyer weiter, 1910 dann liquidierten sie die Firma und gründeten das Unternehmen O. & M. Hausser.
Dem reinen Verkauf von Spielzeug sagten sie damit Ade und konzentrierten sich auf die Herstellung desselben. Ihre Produktpalette umfasste ein breites Spektrum, bekannt aber wurden Haussers für die industrielle Produktion von sogenannten Elastolin-Figuren. Die kleinen Spielfiguren aus Sägemehl, Leim und anderen Komponenten wurden im Inneren durch ein Drahtgestell verstärkt und waren sehr wirklichkeitsnah gestaltetet. In einer Zeit, die auf Krieg gebürstet war, stellten Soldaten mit allem, was zum Kasernenleben und Fronteinsatz gehörte, einen großen Teil des Angebots dar. Aber auch Tiere, Indianer, Ritter, Eisenbahnbedienstete und viele andere Motive bereicherten im Lauf der Zeit das schnell anwachsende Elastolin-Sortiment.
Als das Ludwigsburger Kasernen-Areal, auf dem Hausser produzierte, vom Heer beansprucht wurde, ließ sich die Firma ab 1937 in Neustadt bei Coburg nieder, das zusammen mit dem benachbarten Sonneberg das Zentrum der deutschen Spielwarenherstellung war. Trotz einer Pause während des Zweiten Weltkriegs boomte das Geschäft auch in der Zeit des beginnenden Wirtschaftswunders, O. & M. Hausser war längst zur Marke geworden.
Bild-Lilli – Geburt eines Stars
Am 24. Juni 1952 sollte in Hamburg die erste Ausgabe der BILD-Zeitung erscheinen. Etwa zwanzig Minuten vor Druckbeginn musste aus redaktionellen Gründen auf ein Foto verzichtet werden, der Karikaturist Reinhard Beuthin sollte die drohende Leerstelle füllen. Aus schnell hingeworfenen ersten Skizzen, die ein Baby mit Pausbacken zeigten, entstand Lilli, eine junge Dame mit verführerischer Figur, kokettem Augenaufschlag und blondem Pferdeschwanz, die so ganz das weibliche Ideal der Zeit widerspiegelte. Die freche junge Dame bereicherte in der Folge die BILD-Zeitung und stieg unter den Leserinnen und Lesern zum Star auf.
Heinz Frank, der in Hamburg die Artikel verschiedener Fabrikanten vertrat, kam auf die Idee, Lilli als Puppe auf den Markt zu bringen, mit Hausser wurde der geeignete Hersteller gefunden. Der Neustädter Chefmodelleur Max Weißbrodt erhielt nach einigen Versuchen die Zustimmung der BILD und des Karikaturisten Beuthin für sein Modell aus Hartplastik. Drei Patente wurden angemeldet, und 1955 kam die meist blonde Bild-Lilli in zwei verschiedenen Größen und mit einer Vielzahl an modischer Garderobe auf den Markt. Sie konnte den Kopf drehen, die Arme und die Beine vom Körper wegstrecken, und auch die passenden Accessoires von der Schaukel bis zum Steiff-Pudel wurden mit der Zeit entwickelt.
Bis 1959 wurde die Puppe über Frank vertrieben, danach von der Firma Martha Maar in Mönchröden, wo auch die Kleidung hergestellt wurde. Martha Maar war die Schwiegermutter von Rolf Hausser, dem damaligen Direktor von O. & M. Hausser, die Bild-Lilli somit im Grunde ein familieneigenes Produkt. Rund 130.000 Exemplare wurden bis 1964 in Deutschland verkauft, über das Unternehmen Marx-Toys U.S.A. wurde sie auch für den amerikanischen und asiatischen Markt produziert. Der Erfolg zeitigte zudem weltweit verschiedene Nachahmungen.
Barbie – Zweite Geburt eines Stars
Ruth Mattel entdeckte während einer Europareise in einem Luzerner Schaufenster die Bild-Lilli. Sie war von der Puppe so begeistert, dass sie die nach ihrer Tochter benannte Barbie entwickeln ließ und auf den Markt brachte. Barbie, die anders als Lilli aus Vinyl gegossen wurde, wurde sofort zum Verkaufsschlager. Im Lauf der Zeit bekam sie Ken und eine Vielzahl von Verwandten und Freundinnen an die Seite. Bis heute darf sie in keinem Mädchenzimmer fehlen. Sammlerstücke erzielen Preise von mehreren Tausend Euro.
Anfang 1964 kaufte Mattel von Hausser die Rechte an Lilli und durfte damit die Barbie auch in Europa vertreiben. Als erste Barbie brachte Mattel die „Swirl Ponytail Barbie“ auf den deutschen Markt. Hausser war gezwungen, mit dem Verkauf des Copyrights die Produktion der Bild-Lilli einzustellen, und meldete 1983 Konkurs an. 1966 gründete Mattel in Dreieich bei Frankfurt am Main eine Tochtergesellschaft. Ruth Handler, die Präsidentin des seit 1960 börsennotierten Unternehmens war, zog sich nach einer Brustkrebserkrankung zusammen mit ihrem Mann 1975 aus der Firma zurück.
Als der deutsche Journalist Dieter Warnecke die Geschichte der beiden Spielpuppen Lilli und Barbie für sein Buch „Barbie im Wandel der Jahrzehnte“ akribisch aufarbeitete, setzte er sich 1994 mit Ruth Handel in Verbindung. Sie bestätigte ihm, dass Barbie nach dem Modell der Lilli entworfen worden sei. Ruth Handler starb 2002 im Alter von 85 Jahren, ihr Mann Ellias 2011 mit 95 Jahren. Mattel ist heute der zweitgrößte Spielwarenhersteller weltweit, die Barbie ein Klassiker unter den Spielzeugen, Lilli ihre vergessene Vorläuferin.
Dieser Artikel von mir erschien in leicht veränderter Form in der Zeitschrift „Women’s History“ 2/2017.
Ich danke herzlich Dieter Warnecke, Wiwa-Casting, dem Ludwigsburg Museum und Jens Tremmel, Fotograf im Deutschen Literaturarchiv Marbach, für die Erlaubnis ihre Fotos einzustellen.
Quellen
Dieter Warnecke: „Barbie im Wandel der Jahrzehnte. Ein ausführliches Handbuch für Liebhaber und Sammler“. München: Heyne, 1995.
http://corporate.mattel.com/about-us/history/default.aspx (Zugriff März 2018)