Blogparade Europa und das Meer

Das Meer, der Mond und Mayer

Im Beitrag des Deutschen Uhrenmuseums zur Blogparade #DHMMeer wird von John Harrison erzählt, der als Konstrukteur äußerst präziser Uhren den „Längenpreis“ des britischen Parlaments zuerkannt bekam. Das stimmt, doch auch ein anderer hat von diesem Parlament Preisgeld für die Entwicklung eines Verfahrens zur exakten Bestimmung des Längengrades zugesprochen bekommen: Tobias Mayer. Und der hat nicht etwa eine Uhr gebaut, sondern den Himmel zu einer gemacht.

Cooks Schiffe Resolution und Adventure 1776 in der Bucht von Matawai (Tahiti); Gemälde von William Hodges (Wikipedia, gemeinfrei)

Cooks Schiffe Resolution und Adventure 1776 in der Bucht von Matawai (Tahiti); Gemälde von William Hodges (Wikipedia, gemeinfrei)

Es war einmal …

… ein Landstädtchen, in dem überwiegend Weinbauern wohnten und das nördlich der württembergischen Residenz Stuttgart lag. Ende des 17. Jahrhunderts wurde es bei den Einfällen französischer Truppen fast restlos niedergebrannt. In der Folge baute man das dort befindliche kleine Jagdschloss der Landesherren nicht mehr auf und errichtete stattdessen im nahen Ludwigsburg ein großes Residenzschloss. Marbach drohte in Bedeutungslosigkeit zu versinken und dem Gedächtnis zukünftiger Generationen verloren zu gehen. Tat es aber nicht, denn 1759 wurde hier Friedrich Schiller geboren, dank dem die Stadt zum Wallfahrtsort von Literaturbegeisterten avancierte und im 20. Jahrhundert Sitz des Schiller-Nationalmuseums, des Deutsche Literaturarchivs und des Literaturmuseums der Moderne wurde. Internationale Gäste bis hin zu Queen Elizabeth besuchen seitdem das Städtchen. Vor lauter Schiller aber wäre fast ein anderer Sohn der Stadt in Vergessenheit geraten.

Vom Waisenkind zum Verlagsmitarbeiter

Am 17. Februar 1723 wurde in Marbach Tobias Mayer geboren. Wie Schiller verlebte auch er nur seine allerersten Jahre hier, dann zog der Vater, ein Brunnenbauer und Wagner, eines besseren Auskommens wegen nach Esslingen. Obwohl er seine Eltern früh verlor, konnte der begabte Tobias die Lateinschule besuchen. Er brachte sich autodidaktisch Mathematik bei und erstellte mit Begeisterung Pläne. Mit 16 Jahren etwa zeichnete er den nachweisbar ersten sauber aufgenommenen Plan der Freien Reichsstadt Esslingen. Noch während der Schulzeit publizierte er ein Buch über Geografie, weitere folgten. Mit seiner Volljährigkeit ging Tobias Mayer zuerst nach Augsburg, dann nach Nürnberg, wo er bei einem Landkartenverlag arbeitete.

Tobias Mayer Geburtshaus, Foto: Dr. Volker Hirschel

Tobias Mayer Geburtshaus, Foto: Dr. Volker Hirschel

Professor an der modernsten deutschen Universität

1751 erhielt der eben frisch verheiratete Mayer das Angebot der jungen und modernen Universität Göttingen, eine Professur mit Schwerpunkt Mathematik und Astronomie sowie die Leitung der Universitätssternwarte zu übernehmen. Mayer griff zu und widmete sich zukünftig unter anderem der Längenbestimmung, über die er zahlreiche Schriften publizierte. Zudem bewarb er sich um besagten „Längenpreis“ zur genauen Bestimmung der geographischen Position auf dem Meer. Er fand eine Möglichkeit, doch sein Lösungsweg lag nicht auf dem Wasser, sondern am Himmel. Mit Hingabe hatte er schon früh den Erdtrabanten und die Sterne beobachtet. Er zeichnete eine sehr genaue Mondkarte mit einem Netz von Längen- und Breitengraden und begann an einem Mondglobus zu arbeiten, konnte ihn aber nicht mehr vollenden. Um exakt vermessen zu können, entwickelte er zudem Instrumente und Messmethoden. So schaffte er es, die Stellung des Monds zu Planeten im Voraus zu berechnen und Tabellen zu erstellen, dank denen man die jeweilige Uhrzeit in London ablesen konnte. Leider sollte Mayer nie erfahren, dass seine Leistung auch wirklich anerkannt wurde. Am 20. Februar 1762 ereilte ihn mitten im Siebenjährigen Krieg tödlicher Typhus. 1756 wurde ihm postum von der britischen Regierung bzw. das Board of Longitude ein Preis von 3000 Pfund (umgerechnet etwa 1 Mio. Euro) zuerkannt, den seine Witwe entgegennahm.

Tobias Mayer, Kupferstich von Conrad Westermayr; Quelle: Wikipedia (gemeinfrei)

Tobias Mayer, Kupferstich von Conrad Westermayr; Quelle: Wikipedia (gemeinfrei)

Ein Museum für den Mondgucker

Der Astronom und Mathematiker geriet allmählich in Vergessenheit, erst 1960 leitete E. G. Forbes, schottischer Professor für die Geschichte der Naturwissenschaften, eine Renaissance ein. 1995 wurde Mayers Geburtshaus in Marbach – ganz in der Nähe zu Schillers Geburtshaus gelegen – zum Museum. Heute ist es geschlossen, denn auf dem Nachbargrundstück wird ein großes, modernes Tobias-Mayer-Museum errichtet. Ab Oktober 2018 kann man sich darin unter anderem ansehen, was Tobias Mayer mit dem Mond und dem Meer zu tun hat.

Ein Exkurs

Die kleine am Neckar gelegenen Stadt Marbach ist dank Mayer mit der Lösung eines großen Meer-Problems verbunden, und tatsächlich lässt sich auch eine – zugegeben etwas weit hergeholte – Verbindung zwischen Mayer, dem Meer und Schiller finden. Wie wir aus dem Blogpost des Deutschen Uhrenmuseum erfahren, nahm James Cook Harrisons Uhr zwischen 1772 und 1775 mit auf die Reise.

Johann und Georg Forster in der Südsee, Gemälde von John Francis Rigaud (Wikipedia, gemeinfrei)

Johann und Georg Forster in der Südsee, Gemälde von John Francis Rigaud (Wikipedia, gemeinfrei)

Bei dieser zweiten Weltumsegelung Cooks waren auch der Naturforscher und Pastor Johann Reinhold Forster und sein Sohn Georg dabei. Letzterer veröffentlichte nach der Rückkehr 1777 die berühmte „Reise um die Welt“, einen europaweiten Bestseller, mit dem er die moderne Reiseliteratur begründete. Im selben Jahr wurde er Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften, womit sich ein kleiner Kreis zu Mayer schließt, doch das ist noch nicht alles. 1785 heiratete Forster die Göttinger Professorentochter Therese Heyne. Die Ehe wurde unglücklich, Therese Forster betrog ihren Mann mit dem Journalisten und Übersetzer Ludwig Ferdinand Huber, den sie nach Forsters Tod 1794 heiratete. Huber wiederum war ein enger Freund von Friedrich Schiller, zumindest bis seine Beziehung zu Therese Forster aufflog und er in Verdacht geriet, Jakobiner zu sein, denn dann ließ Schiller ihn fallen. Therese (Heyne-Forster-)Huber sollte später die erste deutsche Berufsjournalistin und eine der bekanntesten Schriftstellerinnen der Goethe-Zeit werden. Teile ihres literarischen Nachlasses liegen im Deutschen Literaturarchiv, was mich zu Studienzwecken nach Marbach am Neckar brachte. Zu eben dieser hochinteressanten Frau schrieb ich nämlich nicht nur meine Magisterarbeit, sondern veröffentlichte ich auch mein erstes Buch. In Marbach schlug ich schließlich private Wurzeln, arbeitete am Text zu einem Kurzfilm über Tobias Mayer mit, kam in Kontakt zu den Schlössern und Gärten Baden-Württembergs und Deutschlands, nahm als Projektleiterin für „Zu Tisch! Genießen in Schlössern und Gärten“ an der Blogparade #HDMMeer teil, entdeckte den Uhrenartikel und schrieb nun fernab jeder Küste über Mayer, den Mond und das Meer. Doch nun beende ich diesen Artikel und verfasse einen Beitrag für das neue Stuttgarter Stadtlexikon, keinen zu Mayer, nein, einen zu Therese Huber.

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Andrea Hahn, Foto: Chris Korner

Mein Name ist Andrea Hahn, und ich liebe es, Geschichten zu erzählen – Geschichten von Menschen, die mir begegnen, und Geschichten von Menschen, die unsere Welt längst verlassen haben. Außerdem besuche ich gerne Orte, die Geschichten zu erzählen haben, und liebe (fast) alles, was blüht, auf vier Beinen läuft, durch das Wasser schwimmt und die Luft fliegt. Auch davon schreibe ich.

Doch nicht nur ich schreibe hier, gerne nehme ich auch Gastbeiträge auf, die sich für die Seite eignen. Die Berliner Bloggerin Nina Süßmilch hat es vorgemacht.

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