Weingeist beflügelt

Oder: Woher schwäbische Dichter ihre Inspiration nehmen

Braucht es einen Grund, um über schwäbische Dichter und Wein zu schreiben? Eigentlich nicht, aber ich habe einen: Am 8. und 9. Februar 2020 finden in der Schillerstadt Marbach am Neckar die 4. Wein-Lese-Tage statt (#wlt2020). Aus diesem Grund hier die Überarbeitung eines Artikels, den ich 2015 für „Wein-Boulevard“ geschrieben habe.

Weinboulevard

Dichter und Wein in gedruckter Form

Ein Volk der weinliebenden Dichter

„Wir sind das Volk der Dichter“, schrieb ehemals der Stuttgarter Kunsthistoriker Eduard Paulus und entwickelte dabei den schwäbischen Merksatz:

„Der Schelling und der Hegel, / der Schiller und der Hauff, / das ist bei uns die Regel, / das fällt hier gar nicht auf.“

Daran lässt sich schwerlich rütteln, die Frage ist aber, was Württemberg zum Land der Dichter und Denker macht. Ist es etwa der Weingeist, der den dichterischen Genius so oft weckt(e)?

Theodor Heuss kam in Brackenheim zur Welt, Friedrich Hölderlin in Lauffen, Friedrich Schiller in Marbach, Thaddäus Troll in Bad Cannstatt. Ihre Wiege stand also mitten in den Weinanbaugebieten des Neckartales. Familie Schiller besaß sogar eigene Weinberge, und Vater Schiller verfasste eine wegweisende Schrift „Vom Weinbau“. Nachdem der 14-jährige Knabe von Herzog Karl Eugen auf die Hohe Karlsschule geschickt worden war, kam er in den täglichen Genuss von leichtem Tafelwein. Auf Anordnung des Landesvaters sollten die Schüler je nach Alter beim Mittagessen bis zu einem halben Schoppen erhalten. Natürlich sollten sie nicht zu Alkoholikern erzogen werden. Es war einfach so, dass das Wasser damals zu sehr mit Keimen belastet und der Wein relativ schwachprozentig war. Immerhin: Beste Voraussetzungen, um ein vom Weingeist beflügelter Dichter zu werden.

Schiller steht Kopf - Zeichnung von Schiller zum Geburstag seines Freundes Gottfried Körner, 1786

Schiller steht Kopf – Zeichnung von Schiller zum Geburstag seines Freundes Gottfried Körner, 1786

Immer trinkfest …

Als er erwachsen war, las Schiller seinen Freunden beim Wein aus den „Räubern“ vor und wohnte in Dresden in einem „Zimmerchen im Weinberg“. Den Keller in Jena und Weimar füllte er sich mit Weinen verschiedenster Herkunft, darunter Neckarwein. Zur Inspiration dienten faulige Äpfel in der Schreitischschublade und ein Glas Wein neben Feder und Papier. Im Gegensatz zu den Äpfeln überdauerte Letzteres allerdings die nächsten Stunden nicht.

Nach seiner Flucht kam Schiller 1793 noch einmal zurück in die Heimat. Er freute sich, dass er hier trotz der allgemeinen Teuerung für dasselbe Geld doppelt so viel Wein trinken konnte wie in Thüringen. Kein Wunder, dass vom „Trinkkönig“, wie der Dichter Heinrich Voß ihn nannte, Verse stammen wie:

„Wundervoll ist Bacchus Gabe, / Balsam für‘s zerrissne Herz“ und „Ein Wirttemberger ohne Wein / kann der ein Wirtemberger sein?“

und manchmal verräterisch

Ab und an beging Schiller allerdings einen gewissen Verrat an seinem weinhaltigen Herkunftsland. So war bei seinem Tod 1804 der Weinkeller im Haus an der Weimarer Esplande offenbar nicht (nur) mit schwäbischen Gewächsen gefüllt. Auch reichlich Malaga, Burgunder, Champagner, Weißer Portwein, Ruster und andere Weine fanden sich. An seinen Verleger Johann Friedrich Cotta schrieb er:

„Von Bremen ist eine Kiste mit Porto und Malaga Wein an mich gekommen, woraus ich abermals Ihre liebe Sorgfalt für mich erkenne wertherster Freund. Auch scheint der Himmel einen eigenen Segen darauf zu legen, denn, nachdem ich schon seit meiner lezten Krankheit im Julius den Wein nur mit Widerwillen getrunken obgleich meine Ärzte mir ihn verordneten und ich es mit allen möglichen Sorten, süßen und dauren, weißen und rothen, deutschen, französischen und spanischen umsonst versucht, so fange ich nun an den rothen Porto Wein den die mir geschickt mit Vergnügen zu trinken.“

Und 1783 gestand er seiner späteren Schwiegermutter Henriette von Wolzogen:

„Mein böses kaltes Fieber scheint nunmehr nachlaßen zu wollen, denn ich habe bereits 3 Tage keinen Anfall gehabt. Ich lebe aber auch erbärmlich genug um es vom Hals zu schütteln. Schon 14 Tage habe ich weder Fleisch noch Fleischbrüh gesehen. Waßersuppen heute, Waßersuppen morgen, und dieses geht so Mittags und Abends. Allenfalls gelbe Rüben, oder saure Kartoffeln, oder so etwas dazu. Fieberrinde ess ich wie Brod, und ich habe mir sie express von Frankfurt verschrieben. Ein guter Freund hat mir zu meinem Geburtstag 4 Bouteillen Burgunder geschikt – davon wird zuweilen ein Gläschen mit herrlichem Erfolg getrunken, doch mus ich Ihnen gestehen, dass ich mir äuserst wenig aus dem Wein mache, so wolfeil und gut er hier zu haben ist. Mit mehr Vergnügen trinke ich Bier.“

Friedrich Schiller in Marbach am Neckar

Friedrich Schiller in Marbach am Neckar

Weinsberg – Arzt, Dichter und Wein

Ein Gerücht ist übrigens, dass der Schillerwein seinen Namen von dem Dichtergenie habe. Diesen Wein gibt es nämlich schon viel länger als Friedrich Schiller. Seine Bezeichnung geht auf das „Schillern“ zurück, das den Wein, der aus gemeinsam gekelterten roten und weißen Trauben besteht, charakterisiert. Anders verhält es sich beim Kernerwein. 1929 sollte die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg eine neue Rebsorte schaffen. Dies gelang durch die Kreuzung von Riesling und Trollinger. 1969 erhielt sie Sortenschutz, und man benannte sie nach dem ehemals in Weinsberg ansässigen Dichterarzt Justinus Kerner. Auch das ist ein Kapitel zum Thema „Dichter und Wein“.

Der Seracher Dichterkreis im Kernerhaus, kolorierter Stich nach einem Ölgemälde von Heinrich von Rustige

Der Seracher Dichterkreis im Kernerhaus, kolorierter Stich nach einem Ölgemälde von Heinrich von Rustige

Kräftig getrunken wurde im Hause Kerner tatsächlich. Es war bekannt für seine Gastfreundschaft, die Besucher gaben sich die Klinke in die Hand und wussten einen guten Wein zu schätzen. Kurz vor Justinus Kerners Tod 1862 berechneten er und sein Sohn, wie viel Wein der Dichterarzt aus dem Glaspokal getrunken hat, den Nikolaus Lenau ihm 1834 geschenkt hatte. Sie kamen auf zweieinhalb Liter täglich und 21.000 Liter insgesamt. Es handelte sich dabei um einen leichten Weißwein. Laut seinem Sohn kaufte ihn Justinus Kerner jeden Herbst „süß in der Kelter“, „fremde Weine kamen nie auf den Tisch“. Der Arzt setzte Wein auch als Medikament ein. So behandelte er Friederike Hauffe, die „Seherin von Prevorst“, mit Wein, in dem ein goldener Ring gesiedet worden war. Im Anschluss fühlte sich die Kranke, die auf Wein sonst mit heftigem Kopfschmerz reagierte, „ganz leicht und kräftig“.

Nord- und süddeutsche Dichtergewächse und der Wein

Auch Wilhelm Hauff war kein Weinverächter. In vielen seiner Werke wird Wein gebechert, und er kreierte als Erster das Wort „Schaumwein“. Nach dem Erscheinen seines Romans „Lichtenstein“, in dem Wein als Sorgenbrecher empfohlen und von den Weinbergen des Landes geschwärmt wird, erhielt Hauff von seinem Verleger 20 Flaschen Wein und 6 Flaschen Champagner. Vielleicht hoffte dieser ja, seinen Bestsellerautor zu weiteren geistigen Höhenflügen zu animieren. Sehr erfolgreich waren diesbezüglich die Bremer. Sie luden den 1826 bei ihnen weilenden Hauff mehrmals in ihren berühmten und ganz besonderen Ratskeller ein. Die unterirdischen Gewölbe und darin gelagerten Weine inspirierten den Dichter zu der Novelle „Phantasien im Bremer Ratskeller – ein Herbstgeschenk für Freunde des Weines“. Dieses Denkmal der feucht-fröhlichen Weinseligkeit regte wiederum den Maler Max Slevogt an. Er stattete den Raum, den Hauff beschreibt und der heute den Namen „Hauff-Saal“ trägt, mit Fresken nach den Hauff‘schen „Phantasien“ aus.

Der Bremer Ratskeller, den Wilhelm Hauff literarisch verewigte

Der Bremer Ratskeller, den Wilhelm Hauff literarisch verewigte

Eduard Mörike sprach schon während seines Studiums in Tübingen gerne dem Wein zu. In reiferem Alter ließ er seinem norddeutschen Gast Theodor Storm jungen, selbstgezogenen Wein aus Mergentheim kredenzen. Laut Storm wurde er „natürlich wie Wasser aus Biergläsern getrunken“. Mörike wusste sehr wohl um die Macht des Weines in Sachen Dichtkunst. In seinem „Wechsellied vom Weine“ schrieb er:

„Trink‘ ich ihn, den Saft der Reben, / gleich erwärmet meine Seele / und beginnt in hellen Tönen / einen Preisgesang der Musen.“

Dichter und Wein im 20. Jahrhundert

Auf der Liste württembergischer Autoren, die sich vom Wein beflügeln ließen, steht auch Hermann Hesse. In seinem ersten Roman „Peter Camenzind“ schreibt er, dass die Lieblinge des Weins, „schauernd und flutend“ von der „stürmenden See der Geheimnisse, der Erinnerung, der Dichtung, der Ahnungen“ „überrauscht“ würden. In einer autobiografischen Skizze mit dem Titel „Weinstudien“ schildert er augenzwinkernd seine „experimentalwissenschaftlichen Studien“ zum Wein. Theodor Heuss widmete sich in seiner Dissertation dem „Weinbau und Weingärtnerstand in Heilbronn am Neckar“. Vermutlich verfasste er sie unter weingeistigem Einfluss, denn dieser sorgte seiner Meinung nach für schriftstellerische Qualität. Als er 1961 Diabetiker-Weißwein geschenkt bekam, wies er ihn dankend zurück. Wenn er, der jahrzehntelange Rotweintrinker, nämlich abends seine „Dreiviertelflasche oder Literflasche“ trinke und schreibe, ergebe sich eine „produktive Behaglichkeit“. Und bei der komme sehr viel mehr heraus, „als bei der pedantischen Überlegung, was gesundheitssichernd ist“.

Burg Schaubeck bei Nacht, Sitz des Weinguts Graf Adelmann, dessen Wein Thaddäus Troll gerne trank.

Burg Schaubeck bei Nacht, Sitz des Weinguts Graf Adelmann, dessen Wein Thaddäus Troll gerne trank.

Thaddäus Troll hieß eigentlich Hans Bayer, sein Künstlername wird gerne auf den Trollinger zurückgeführt. In dem Gedicht „Kenner trinken Württemberger“ entwickelte er einen schwäbischen Krattel gegen gesüßte Weine, und in seinem Bestseller „Deutschland deine Schwaben“ schreibt er, dass „eine ganze Batterie von leeren Flaschen“ eines „delikaten Muskattrollingers“ aus dem Hause Adelmann „als Meilensteine längs der Kapitel dieses Buches“ gestanden hätten. An anderer Stelle erklärt er, dass der Wein dank „all seiner guten, berauschenden und befeuernden Eigenschaften“ der Freund des Dichters sei. „Wie dieser ist der Wein ein Zauberer, der Wunder wirkt“. Kein Wunder also, dass das Weinland Württemberg so reich an Dichtern ist oder anders gesagt: Dicht besiedelt in Bezug auf Dichter und Wein.

Spruch am Weinberghäusle der Marbacher Weingärtner

Spruch am Weinberghäusle der Marbacher Weingärtner

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Andrea Hahn, Foto: Chris Korner

Mein Name ist Andrea Hahn, und ich liebe es, Geschichten zu erzählen – Geschichten von Menschen, die mir begegnen, und Geschichten von Menschen, die unsere Welt längst verlassen haben. Außerdem besuche ich gerne Orte, die Geschichten zu erzählen haben, und liebe (fast) alles, was blüht, auf vier Beinen läuft, durch das Wasser schwimmt und die Luft fliegt. Auch davon schreibe ich.

Doch nicht nur ich schreibe hier, gerne nehme ich auch Gastbeiträge auf, die sich für die Seite eignen. Die Berliner Bloggerin Nina Süßmilch hat es vorgemacht.

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