Therese Huber (1764-1829)
Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin, Working Mom und Patchworkerin
Meine Magisterarbeit und meine ersten beiden Bücher handeln von einer besonderen Frau, ihr Name ist Therese Huber. Sie war eine der bekanntesten Autorinnen und Übersetzerinnen der Goethezeit, und sie war die erste deutsche Berufsjournalistin. Therese Huber war eine Ausnahmeerscheinung und zugleich Vorreiterin als Working Mom und Patchworkerin.
Therese Huber kam am 7. Mai 1764 als Tochter des angesehenen Göttinger Altphilologen Christian Gottlob Heyne und seiner Frau Therese, geborene Weiß, zur Welt. Aufgewachsen ist sie in einer Zeit, in der die meisten europäischen Länder unter späten absolutistischen Herrschern ächzten, die das Geld, das sie nicht besaßen, mit vollen Händen ausgaben, um durch repräsentative Hofhaltungen ihre Macht, die sie glaubten, direkt von Gott erhalten zu haben, aller Welt zu demonstrieren.
Die Professorentochter wurde als Jugendliche in Reifröcke gesteckt und in Korsetts, die auf Wespentaille getrimmt waren. Mangels einer Schule für Mädchen wurde sie von Vater, Bruder und Studenten unterrichtet. Anschließend kam sie für ein Jahr in ein Pensionat, um den letzten Schliff zu erhalten. Das alles entsprach den Gepflogenheiten der Zeit. Es hätte mitten in das Leben einer pflichterfüllenden und im Hintergrund bleibenden Honoratiorengattin führen können und sollen. Tat es aber nicht, auch wenn es sich zunächst so angelassen hat.
„Göttinger Universitätsmamselln“
Therese Hubers Heimatstadt Göttingen war die jüngste und modernste deutsche Universitätsstadt, gehörte zum Kurfürstentum Hannover und damit zum liberalen England. Modernität und Liberalität scheinen sich auch auf die Mädchenerziehung ausgewirkt zu haben. Wie sonst ist es zu erklären, dass neben Therese noch vier weitere Göttingerinnen heranwuchsen, die durch ihre Bildung und ihren unkonventionellen Lebensweg derart herausstachen, dass sie als „Göttinger Universitätsmamselln“ in die Geschichte und in Wikipedia eingingen? Diese Mädchen hatten das Glück, sich in Gesellschaft aufgeklärter Geister zu bewegen. Sie durften bei gelehrten Gesprächen über Gott und die Welt zuhören, ja sogar mitreden. Und sie konnten sich Zugang zu Büchern beschaffen. So berichtet Therese Huber rückblickend:
„ich las, las, las und schwatzte mit meinem Vater, der mich über spekulative Gegenstände alles schwatzen ließ, las alles, was mir im Lesen vorgeführt wurde“.
Mit 21 heiratete sie den zehn Jahre älteren Georg Forster, der an der Seite von James Cook die Welt umsegelt hatte. Seine Reisebeschreibung war zum Bestseller geworden, und man hatte ihn als gefeierten Schriftsteller an den Fürstenhöfen Europas herumgereicht. Schließlich erhielt er zuerst an der Universität Kassel, dann an der Universität Wilna eine Professur für Naturkunde.
An seiner Seite sammelte Therese Heyne, die ab 1785 Therese Forster hieß, „1000 Nationen […] – denn von meiner Heirath an sah ich nun Menschen und Welt“.
Aus Therese Forster wird Therese Huber
Sie wohnte mit ihrem Mann in Wilna und anschließend in Mainz, wo er eine Stelle als Bibliothekar an der Universität erhalten hatte. Kurz zuvor hatte es auch Ludwig Ferdinand Huber in die kurfürstliche Residenzstadt verschlagen. Der sächsische Legationssekretär war 1764 in Paris zur Welt gekommen und in Leipzig aufgewachsen. Bisher hatte er sich mit Übersetzungen, Rezensionen und erfolglosen Dramen durchs Leben geschlagen. Gefördert wurde er von seinem Freund und zeitweiligen Mitbewohner Friedrich Schiller. Huber gewann die Freundschaft des Ehepaares Forster, und während der Hausherr auf Reisen war, entwickelte sich zwischen Huber und der Hausherrin eine Liebesbeziehung. Forster blieb dies nicht verborgen, aber er wollte seine Frau nicht aufgeben. Nach seiner Rückkehran bahnte sich eine Ehe zu dritt an. Zu den beiden Töchtern von Therese und Georg Forster kamen zwei – allerdings bald verstorbene – Kinder hinzu, von denen eins von Huber stammte, das andere unklarer Vaterschaft war.
1792 rückten im Zuge der Koalitionskriege die revolutionären französischen Truppen nach Mainz vor und vertrieben den Kurfürsten. Die erste Republik auf deutschem Boden wurde gegründet. Forsters und ihre Freunde begrüßten den Einzug der Sansculotten als »Morgenröthe der Freiheit«.
Therese Forster interpretierte diese Morgenröte allerdings auf ganz eigene Weise. Sie nutzte die Kriegswirren und setzte sich mit ihren beiden Kindern in die französische Schweiz ab. L. F. Huber folgte ihr, Georg Forster hingegen reiste nach Frankreich, um den Anschluss von Mainz vor dem Nationalkonvent zu vertreten. Seine Frau forderte die Scheidung, doch er wollte nach wie vor eine Ehe zu dritt. Im November 1794 trafen sich die drei an der schweizerisch-französischen Grenze, ohne zu einer Lösung zu finden. Dieses „Treffen von Travers“ wurde 1988 in im DEFA-Studio verfilmt – mit Corinna Harfouch als Therese Forster.
Kurz nach dieser Zusammenkunft erkrankte Forster und starb im Januar 1794 einen einsamen Tod in Paris. Der Weg war frei, Therese und Ludwig Ferdinand Huber, der nun als Retter der Witwe und ihrer Waisen dastand, heirateten einige Monate später. Hubers blieben in der Schweiz, bis sich in Deutschland niemand mehr für die Gerüchte um ihre Beziehung und ihr vermeintliches Jakobinertum interessierte. Einer vergaß jedoch nicht: Friedrich Schiller. Noch 1805 schrieb er über Therese Huber: „Mit diesen schlechten Naturen beschmutzt man sich nur und ist nichts als Verdruß zu gewinnen.“
Schreiben im Verborgenen
Die größer werdende Familie am Lac de Neuchâtel wollte ernährt werden. Huber übersetzte und schrieb für den Tübinger und Stuttgarter Verleger Johann Friedrich Cotta. Seine Frau half ihm und fand dabei zu ihrer wahren Profession, dem Schreiben. Gleichzeitig wurde sie zur Working Mom:
„So verdiente ich wohl die Hälfte unseres Einkommens, indem ich mit dem Kinde an der Brust, neben der Wiege und in den Nachtstunden, wo alles schlief, meinen Kopf dadurch erhellte, dass ich die heftigen Gefühle meines Herzens und den Flug meiner Fantasie in deutliche Bilder einschränkte und an den Faden meiner Erzählung anreihte.“
Unter ihrem Namen veröffentlichte Therese Huber ihre Werke allerdings nicht, als Verfasser galt nach außen hin Ludwig Ferdinand Huber. Das Paar wusste zu gut, dass einer Frau erheblich weniger Honorar bezahlt wurde und eine Mutter Gefahr lief, der Vernachlässigung ihrer Kinder bezichtigt zu werden.
In schneller Folge entstanden »Abentheuer auf einer Reise nach Neu-Holland«, »Sophie«, »Familie Seldorf«, »Luise«. Es handelt sich dabei um Romane, in denen ungewöhnliche Frauenschicksale im Mittelpunkt stehen. Therese Huber scheute nicht vor neuen und außergewöhnlichen Stoffen zurück. In »Neu-Holland« stellte sie die Situation der in der Strafkolonie lebenden Engländer dar und schuf damit den ersten Roman der Weltliteratur, der in Australien spielt. In »Familie Seldorf« entwarf sie ein Bild von der Französischen Revolution, wie es damals keinem anderen deutschen Autor und keiner Autorin eindringlicher gelang.
Viele von Therese Hubers Figuren scheiterten an der Konfrontation mit der Wirklichkeit, konnten ihre oft schwärmerischen Erwartungen nicht mit den Anforderungen der Gesellschaft in Einklang bringen. Unschwer lassen sich darin Therese Hubers eigene Erfahrungen erkennen. Zugleich handelt es sich aber um brennende Themen der zeitgenössischen Literatur, man denke nur an Goethes »Werther« oder die »Wahlverwandtschaften«.
Therese Huber lässt die Maske fallen
1799 war die Zeit des Exils vorbei, Cotta konnte Huber als Redakteur der „Neuesten Weltkunde“, aus der die „Allgemeine Zeitung“ hervorging, nach Deutschland zurückholen. Die Familie zog 1800 nach Stuttgart und, als die württembergische Zensur immer rigider wurde, Ende 1803 mitsamt der Zeitung ins damals bayerische Ulm. Doch wenig später schlug das Schicksal übel zu: Im Sommer verloren Hubers das kurz zuvor geborene zehnte Kind und bald darauf die heißgeliebte siebenjährige Adele. Es sollte nicht alles gewesen sein: Huber kehrte krank von einer Reise zurück und starb am 24. Dezember 1804. Seiner Witwe, die insgesamt sechs Kinder verloren hatte, blieb nichts anderes übrig, als eine ihrer beiden fast erwachsenen Töchter möglichst schnell zu verheiraten. Mit ihren beiden jüngsten Kindern Luise und Aimé zog sie zu ihr und ihrem Schwiegersohn nach Stoffenried und schließlich nach Günzburg.
Um Letzteren eine standesgemäße Versorgung zu sichern, wurde mehr denn je eine Patchworkerin aus Therese Huber. Doch nicht nur das, auch wenn sie es nur in Ansätzen zugab: Sie schrieb und übersetzte aus Passion. Zunächst versteckte sie sich weiterhin hinter dem Pseudonym „L. F. Huber“. Da ihr Mann aber eben nicht mehr lebte, gab sie die Werke zuerst als Werke aus seinem Nachlass heraus. Als auch das aus Gründen der Aktualität nicht mehr möglich war, wagte sie sich allmählich aus der Deckung.
Therese Huber schrieb Erzählung um Erzählung, Roman um Roman und übersetzte aus dem Französischen. Ihre Werke wandelten sich in der zweiten Lebenshälfte zu relativ konventionellen Erziehungs- und Bildungsromanen für Mädchen und junge Frauen. Noch immer gab es darin Figuren, die am Leben zu scheitern drohten, doch nun schafften es zumindest die weiblichen Hauptfiguren, sich in die Gesellschaft einzuordnen. Bei aller Konventionalität schob Therese Huber den Leserinnen und Lesern aber immer wieder gesellschaftskritische Aspekte unter. So griff sie zum Beispiel in ihrem letzten Roman, „Die Ehelosen“ (1929), ein Tabuthema auf: die Ehelosigkeit der Frau. Was damals als gesellschaftlicher Makel galt, beurteilte sie mit differenziertem Blick.
Die „frauenzimmerliche Redaktion“
Das Schreiben und Übersetzen war noch lange nicht alles: 1816 berief Cotta Therese Huber nach Stuttgart, um sie zuerst am „Kunstblatt“, dann am „Morgenblatt für gebildete Stände“ als Co-Redakteurin anzustellen. Schon wenige Monate später schüttelte sie den Mitredakteur Johann Christoph Friedrich Haug ab und hielt die Fäden allein in der Hand.
Die Berufung Therese Hubers war ein kluger Schritt gewesen. Erst unter ihrer – durchaus kritisierten – „frauenzimmerlichen Redaktion“ öffnete sich nämlich das „Morgenblatt“ der großen Themenvielfalt, für die es berühmt wurde. Jetzt entwickelte sich das Blatt zu der nationalen Kulturzeitschrift jener Zeit. Die Auflagenzahlen schnellten nach oben, um erst nach dem Ausscheiden der Redakteurin wieder zu fallen. In seinem Nachruf sollte Gustav Schwab im „Morgenblatt“ über die ehemalige Redakteurin schreiben:
„Sitten und Institutionen, Erfindungen, Entdeckungen am Himmel und auf der Erde, nach allem sah der gebildete und wissbegierige Geist dieser Frau sich um, zog, was in dem Bereich des Blattes war, herein in dasselbe“.
In Stuttgart war Therese Huber eine Institution. Sie verkehrte in den Honoratiorenzirkeln, wurde dem König vorgestellt und war Anlaufpunkt für illustre Besucher, darunter Jean Paul und Ludwig Börne. Richtig warm wurde sie mit den Residenzstädtern allerdings nicht, sie hielt sie für konventionell und zu wenig weltoffen. Trotzdem vermisste sie die Stuttgarter Gesellschaft, nachdem sie mit Ende ihrer Redaktionszeit in den Kreis der Familie nach Augsburg umgezogen war.
Vergessen und wiederentdeckt
Als Therese Huber am 15. Juni 1829 dort starb, lag die Französische Revolution bereits vierzig Jahre zurück. Es hatte sich um eine kurze Spanne gehandelt, in der manche Frauen wie Therese Huber eine Morgenröte der Freiheit hatten empfinden dürfen. Die in der Napoleonzeit nur locker unter der Brust geschnürten Kleider waren wieder abgelegt worden, erneut standen Korsetts und Reifröcke in hohem Kurs.
Die Frau, die als Working Mom und Patchworkerin zuerst das halbe, dann – abgesehen von einer kleinen Pension – das ganze Familieneinkommen verdient hatte, konnte zu Recht von sich behaupten: „Mein Leben löste seine Aufgabe: ich erbaute, ich schuf mein geistiges Selbst“. Doch zur Zeit ihres Todes besaß Therese Huber keine Vorbildfunktion mehr und geriet schon bald in Vergessenheit. Erst ab den 1980er-Jahren entdeckte die Literaturwissenschaft sie allmählich wieder.
In Stuttgart wurde Therese Huber sehr schnell ins digitale Stadtlexikon aufgenommen. 2019 benannte der Gemeinderat ein schmales, aber doch zentrales Gässchen im Herzen der Stadt nach ihr. Einfach war Letzteres nicht, ursprünglich sollte der einstmals prominenten Bürgerin ein kleiner Platz, das sogenannte „Gerberplätzle“, gewidmet werden. Das wiederum stieß auf hartnäckigen Widerstand und sogar zur Gründung einer Bürgerinitiative dagegen. Therese Huber hätte das Geschehen sicher mit einigen scharfzüngigen Worten begleitet, immerhin war sie laut Ludwig Börne ein „satirischer Drache“.