Frankfurter Buchmesse – und ich mag sie doch
Eigentlich mag ich Messen nicht. Man läuft sich die Füße platt, holt sich einen verspannten Rücken, hechelt in schlechter Luft herum, verblasst mangels Tageslicht, erkennt sich schockiert als Massenmensch … Eigentlich – ja, eigentlich mag ich Messen nicht.
Obwohl ich bei Freunden übernachten könnte, fahre ich immer nur einen Tag zur Frankfurter Buchmesse. Das reicht, und zwar aus oben genannten Gründen. Frühmorgens hetze ich zur S-Bahn, die mich zum Stuttgarter Hauptbahnhof bringt. Dort sehe ich am Bahnsteig auffällig viele Gesichter , die mir bekannt vorkommen. Manche kommen mir nur bekannt vor, andere sind mir bekannt. Ich weiß, für wen sie arbeiten, was sie arbeiten, was sie lieben. Es sind die Gesichter von Büchermenschen. Im Zug werden überdurchschnittlich viele Printprodukte ausgepackt, E-Book-Reader sind in der Minderzahl. Natürlich geht es bei Büchermenschen nicht ohne Handys, da nehme ich mich nicht aus. Manche Reisende wundern sich, fragen sich, was hier im Zug los ist. Frankfurter Buchmesse, aha … Eine gewisse Skepsis bleibt in ihren Blicken zurück.
Hallenhin und -her
Nachdem mich die Bahn wie immer unpünktlich zur Messe transportierte und ich die Sicherheitskontrolle und den Einlass passierte, gehe ich den langen, langen Gang hinunter. Via mobile –- der Anblick des Laufbandes verliert nie seinen Reiz, angekommen, mitgenommen. Mitgenommen zu meinen Hallen 3 und 4, andere habe ich in all den Jahren kaum betreten. Dazu müsste ich ja mindestens zwei Tage bleiben, was ich aus oben genannten Gründen zu vermeiden suche. Zuletzt fanden fast alle meine Termine in 4.1 statt, schade, 3 hat Tageslicht und bessere Luft. Da ich meinerseits gerne Luft habe zwischen den Terminen, bei denen mal eben aktuelle und zukünftige Projekte durchgehechelt, alte Kontakte geölt und neue geschmiedet werden, laufe ich zwischen den Hallen 3 und 4 hin und her.
Bei schönem Wetter gehe ich auch gerne über die Agora. In den Pausen dort in der herrlichen Oktobersonne zu sitzen, ist fast schon ein Kurzurlaub. Das gilt vor allem für die Pausen, die sich mit Bekannten füllen. Früher stand ich gern mit meiner Münchner Freundin Maria dort, während sie kurz dem Verlagsdienst entfloh und rauchte. Leider funktioniert das nicht mehr, sie ist in Rente gegangen und fehlt mir. Zurück in den Hallen laufe ich nicht einfach nur hin und her, sondern durchstöbere Buchregale, höre pseudo- und wirklich wichtigen Buchmenschen im Vorbeigehen zu, treffe Freunde aus der Buchstabenwelt. Das alles ist ja auf einer Buchmesse nicht unbedingt abwegig.
Mein Verlags-Kosmos
In diesem Treiben gibt es Fixpunkte. Jahr für Jahr schaue ich bei meinen alten Auftraggebern Hanser und Reclam vorbei, bei dtv und den BücherFrauen, natürlich auch bei neueren Auftraggebern und bei potenziellen. Der schwäbische Silberburg-Verlag musste unbedingt dabei sein.
Silberburg war mir, der in Schwaben „neig’schmeckten“ Bayerin, mitten in dieser hessischen Welt mit ihren internationalen Büchermenschen ein Stück Heimat. Die Silberburg-Leute waren immer sehr tolerant, sie ließen sogar Nicht-Schwaben über Schwaben schreiben, was mir entgegenkommt. So durfte ich 2011 mein Klosterbuch „Poesie im Kreuzgang“ dort veröffentlichen, und im Mai 2019 erscheint das nächste „Mythische Dichterorte. Literarische Spaziergänge in der Region Stuttgart“, beide in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Chris Korner. Die Tatsache, dass Chris Korner und ich Jahre brauchten, um endlich den schon 2013 unterschriebenen Vertrag zu erfüllen, quittiert Silberburg mit bewundernswerter Geduld. Ja, sie luden mich all die Jahre sogar herzlich zu sich an den Stand ein und verköstigten mich. Sag noch einmal einer etwas gegen die Schwaben. Der Vollständigkeit halber sei aber erwähnt, dass Silberburg nicht mehr Titus Häussermann und Christel Werner gehört. 2017 wurde er an die Verlagsgruppe GeraNova Bruchmann verkauft.
Treten Sie näher – oder auch nicht!
Einen auffallenden Unterschied gibt es seit 2016 in der alljährlichen Routine. Ich komme inzwischen mit Presseausweis und Presseinteressen, die Frage nach Lektoratsaufträgen nur im Hinterkopf. Es tritt etwas ein, was ich schon als Sachbuchautorin erfahren habe: Neu kennengelernte Verlagsleute versuchen mich abzuwimmeln, solange sie mich für eine freie Lektorin halten. Sobald sie entdecken, dass ich Sachbuch schreibe und jetzt gar noch für die Presse und als Bloggerin, verlangen Sie schnell nach meiner Visitenkarte oder bieten mir eine ihrer Stand-Sitzgelegenheiten an.
Die Einladung an einen Stand, das ist nicht nur ein körperentlastendes Sitzendürfen sowie Trinken- und Knabbernkönnen. Nein, das ist das Betreten des inneren Zirkels, der Gralsburgen. Wer unter den Verlagsleuten sitzen oder gar abends bei einer der Partys stehen, trinken und knabbern darf, der hat es geschafft. Zumindest glauben das diejenigen, die nicht dort sitzen, stehen, trinken und knabbern dürfen, sehnsüchtige Blicke zu denen da drinnen werfen und sich ab und an auch mal einschmuggeln. Ich habe das Glück, oft und offiziell an einem der Stände sitzen, stehen, trinken und knappern zu dürfen. Manchmal habe ich das Gefühl, kaum etwas anderes zu machen. Es ist das Glück derjenigen, die lange in der Branche arbeiten und im Lauf der Zeit viele Freundschaften schließen durften. Und die Pflege der Freundschaften ist für mich das Beste an der Buchmesse, besser noch als die Entdeckung neuer Bücher und die Besprechung jeglicher Projekte.
Nächstes Jahr …
Wenn ich abends via Via mobile zurück zur S-Bahn hetze, die mich zum Frankfurter Hauptbahnhof bringt, wo ich am Bahnsteig auffallend viele mir bekannte Gesichter sehe, und wie immer von der Deutschen Bahn – wenn auch nicht immer wie 2015 wegen so eines abenteuerlichen Grundes wie einem Wildschweinunfall in Zuffenhausen – mit erheblicher Verspätung nach Hause transportiert werde, dann freue ich mich schon auf das nächste Jahr. Freue mich auf platte Füße, verspannten Rücken, schlechte Luft, mangels Tageslicht verblassenden Teint, Massenmenschenschock. Denn ich mag sie eigentlich doch, die Messe, allen voran die Frankfurter Buchmesse … Also werde ich Jahr für Jahr wiederkommen.