Dichter dicht an dicht
Das Literaturland Baden-Württemberg
Von wegen das Land der Autobauer – Baden-Württemberg ist das Land der Dichter und Denker, das Literaturland. In dieser reichen Kulturlandschaft gehören Schriftsteller und Schriftstellerinnen zur Serienausstattung.
Friedrich Schiller, Friedrich Hölderlin und Hermann Hesse, Eduard Mörike, Johann Peter Hebel, Annette von Droste-Hülshoff, Hilde Domin, Martin Walser, die Romantiker in Heidelberg, die russischen Literaten in Baden-Baden – das ist nur ein Ausschnitt aus der Liste derjenigen, die im Südwesten geboren, aufgewachsen, zugezogen, zu Besuch gewesen oder gestorben sind. Folgt man ihren Spuren, ist man lang unterwegs: von Bad Mergentheim bis Badenweiler, von Baden-Baden bis Biberach an der Riß.
Dass Städte wie Stuttgart, Karlsruhe, Heidelberg, Tübingen und Freiburg auf der Route liegen, überrascht nicht. Aber wer hätte vermutet, dass Flecken wie Kreenheinstätten im Hegau, Buoch hoch überm Remstal, Renchen in der Ortenau und Hausen im Wiesental ebenfalls darunter sind? Sind sie aber, denn landauf, landab wird die Erinnerung an die schreibende Zunft gepflegt und gehegt.
Ja, es gibt sogar eine Internetseite, literaturland-bw.de, auf der man sich orientieren kann. Unterhalten wird diese zum einen von der Literarischen Gesellschaft Karlsruhe. Sie ist die Trägerin des Museums für Literatur am Oberrhein, das an die Literatur dieser Kulturlandschaft vom Mittelalter bis zur Gegenwart erinnert. Ganz besonders ins Rampenlicht gerückt haben die Ausstellungsmacher dabei Johann Peter Hebel und Joseph Victor von Scheffel. Der eine verbrachte sein halbes Leben in Karlsruhe, der andere ist hier geboren und gestorben.
Ein Ort schillert
Das zweite Standbein von literaturland-bw.de bildet die Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg. Sie betreut rund hundert Einrichtungen, die sich dem literarischen Erbe des Landes verschrieben. Außerdem erarbeitet sie die literarischen Radwege „Per Pedal zur Poesie“ und veröffentlicht die Reihe „Spuren“, in der die Autorinnen und Autoren den literarischen Schauplätzen des Landes nachspüren. Ihren Sitz hat sie in Marbach am Neckar, ganz oben auf der Schillerhöhe, wo Schiller-Nationalmuseum, Literaturmuseum der Moderne und Deutsches Literaturarchiv ihre Heimat haben.
Marbach, das ist nicht einfach eine Stadt im Speckgürtel Stuttgarts. Marbach, das ist der Sehnsuchtsort von Literaturbegeisterten aus der ganzen Welt. Das alles hat seinen Ursprung in der malerischen Altstadt, wo das Geburtshaus Friedrich Schillers steht. Schon 1859 wurde das Handwerkerhaus als Gedenkstätte eingerichtet, heute widmet es sich in modernem Ausstellungsdesign Schillers Kindheit und der weltweiten Schiller-Verehrung.
Ganz in der Nähe des Geburtshauses führt der Wein-Lese-Weg vorbei. Er folgt auf 36 Kilometern der roten Traube des Württembergischen Weinwanderwegs vom Neckar ins Bottwartal hinein. Auf 15 Stelen bietet er den Wanderern literarische Texte und Informationen, die sich auf die jeweiligen Orte beziehen. In Bad Urach gibt es einen fünf Kilometer langen „Poesieweg“. Hier kann man sich an 20 Stationen von Gedichten inspirieren lassen und dabei die herrliche Landschaft der Schwäbischen Alb genießen. Zufall ist dieser Weg nicht, denn in Urach weilten unter anderem Nikodemus Frischlin, Eduard Mörike, Wilhelm Waiblinger, Gustav Schwab sowie Johannes R. Becher und Albrecht Goes. Einige verschlug die Schullaufbahn hierher, da im ehemaligen „Mönchshof“ eines jener evangelisch-theologischen Seminare untergebracht war, die dank ihres Stipendienwesens für die Entstehung des Dichterlandes mitverantwortlich waren.
Im Zeichen der Feder
Das berühmteste dieser Seminare befindet sich in Kloster Maulbronn, wo Johannes Keppler, Hermann Hesse, Friedrich Hölderlin und viele andere Berühmtheiten einst paukten. Doch nicht nur das: Justinus Kerner verlebte hier unbeschwerte Knabenjahre, Joseph Victor von Scheffel, Ricarda Huch und Friederike Roth kamen zu Besuch, und Caroline Schlegel-Schelling verbrachte ihre letzten Tage in Maulbronn. Das „Museum im Klosterhof“ setzt ihnen ein Denkmal.
Schon im Mittelalter waren Klöster Horte der Literatur. So ist es kein Wunder, dass der erste bedeutende deutsche Dichter, Walahfrid Strabo, Mönch war. Inspiriert von seinem Heimatkloster auf der Insel Reichenau, schrieb er um 840 das Gedicht „De cultura hortorum“, in dem er sich auf poetische Weise dem Gartenbau widmete. Nach den 24 darin beschriebenen Pflanzen legte man inzwischen nördlich des Reichenauer Münsters ein Gärtchen an.
Die Klöster sind für das Literaturland Baden-Württemberg von besonderer Bedeutung. Es gibt viel über sie zu erzählen, weswegen ihnen von Zeit zu Zeit eigene Blogbeiträge gewidmet werden.
Nicht nur Wolkenschlösser im Literaturland
Überhaupt ist der ganze Bodensee ein Hort für Literaturfreunde. Viele Autorinnen und Autoren zog es hierher, sei es zum Wohnen oder im Urlaub. Die Münsterländerin Annette von Droste-Hülshoff wählte Meersburg zu ihrer zweiten Heimat. Während ihrer monatelangen Aufenthalte bei Schwester und Schwager wuchs ihr die Gegend so sehr ans Herz, dass sie mitten in den Weinbergen das idyllische Fürstenhäusle ersteigerte. Heute ist dort eine Gedenkstätte untergebracht, die an die Dichterin erinnert. Gestorben ist sie 1848 auf der mittelalterlichen Burg, ihr Sterbezimmer kann besichtigt werden.
Vorzugsweise in Burgen und Schlössern wird auch Wilhelm Hauff verehrt. Auf Schloss Neuenbürg im nördlichen Schwarzwald wird sein Märchen das „Kalte Herz“ inszeniert. Auf Burg Guttenberg am Neckar ist ihm ein Gedenkzimmer gewidmet. Und auf der Schwäbischen Alb wurde ihm und seinem Roman „Lichtenstein“ zu Ehren ein ganzes Schloss erbaut – Schloss Lichtenstein. Zu Hauffs Zeiten gab es hoch über Honau nur ein Forsthaus, zehn Jahre nach seinem Tod regten sich erste Stimmen, die den Bau einer Burg forderten. So entstand 1840/41 unter Graf Wilhelm von Württemberg eine Anlage, wie sie den romantischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts entsprach. Sie dürfte eines der bemerkenswertesten Dichterdenkmale überhaupt sein.
Im Bewusstsein dieser reichen Tradition werben im Literaturland Baden-Württemberg Touristiker um Kunden und Kulturschaffende um Publikum. Wer ihrer Einladung folgt und das Ländle durchstreift, erkennt bald, dass hier das literarische Gold auf allen Wegen liegt. Kein Wunder, dass Einheimische und „Reigschmeckte“ gleichermaßen stolz darauf sind, dass sie nicht in einer geistigen Wüste leben.
© für alle Fotos: Chris Korner, Warmbronn